Heute beginnt das Filmfest München, und anders als im vergangenen Jahr haben sich große Namen der Filmwelt angekündigt: So kommt Regisseurin Sofia Coppola anlässlich der Retrospektive, die ihr das Filmfest widmet, Breaking Bad, Star Bryan Cranston nimmt den CineMerit Award entgegen, Bill Nighy stellt den Abschlussfilm Ihre beste Stunde vor. The Artist, Regisseur Michel Hazanavicius präsentiert Les Redoutables, Musiker Josh Homme seine Doku American Valahalla über die Arbeit mit Iggy Pop. Und wie immer kommen viele deutsche Größen wie Heike Makatsch oder Sven Regener.
Den Anfang aber macht Regisseurin Claire Denis: Sie bringt aus Cannes Un Beau soleil Intérieur mit, der Film eröffnet heute Abend das Filmfest. Juliette Binoche spielt eine Frau in den besten Jahren auf der Suche nach einem Mann, der sie in den Arm nimmt, nach einer Liebe, die sich nicht nur auf Sexualität reduziert, nach einem emotionalen Zuhause. Erst war Claire Denis nicht besonders angetan, vier Jahre nach Les Salauds Dreckskerle die Fragments dun discours amoureux von Roland Barthes aus dem Jahr 1977 zu verfilmen, die den Wahnsinn der Verliebtheit heraufbeschwören. Nicht, dass ihr dieser unkontrollierte Zustand unbekannt wäre, aber die Umsetzung der Vorlage schien kompliziert Deshalb holte sie die Schriftstellerin Christine Angot, Inzest ins Boot. Gemeinsam schufen sie ein leidenschaftliches Stück Kino, das sich mit Angots Bissigkeit und Ironie sowie Denis' Faible zur Comédie sentimentale dem schillernden und bruchstückhaften Vorgehen Barthes annähert, ohne es wirklich zu adaptieren. Isabelle ist eine geschiedene Malerin in den Fünfzigern, lebt allein in Paris und hofft auf Mr. Right, wobei sie manchmal zweifelt, ob dieses anstrengende Ausschauhalten ihr nicht die Lebensfreude nimmt. Die Liebhaber wechseln, vom sexuell nicht gerade fantasievollen Banker, der ihr nach dem Akt an der Bar sagt, dass er sie zwar bewundert, sich jedoch nie scheiden lassen wird, über den verunsicherten Schauspieler, der auch Familie hat, dem Ex Gatten, mit dem sie sich nach ein paar schönen Stunden verkracht, dem smarten Typen aus dem Galeristenmilieu bis zum nicht standesgemäßen Proleten, der nicht im Bett, aber beim Reden schwächelt. Was bleibt ist Einsamkeit. Romantik, Erotik und Unzufriedenheit sorgen wie sollte es bei einem französischen Film anders sein für intellektuelle Diskussionen über den Sinn von Liebe. Mal elegant, mal sehr direkt, mal maliziös, aber immer mit Stil. Wenn am Ende Isabelle Rat bei einem Therapeuten, Gérard Depardieu sucht, der ihre Zukunft theatralisch auspendelt und ihr Mut macht, ist das augenzwinkernd inszeniert.
Nie war Juliette Binoche schöner und verführerischer als unter dem Blick von Denis und Kamerafrau Agnès Godard. Mit ihr verbindet Denis die Sehnsucht, nicht nur die äußere, sondern auch die innere Schönheit eines Schauspielers oder einer Schauspielerin darzustellen, sie mit Zärtlichkeit zu betrachten
Denis, die Filmemachen als eine Reise ins Unmögliche bezeichnet, setzt auf die Kraft der Dialoge und scheut dabei vor Klischees nicht zurück, wenn sie die Pariser Bourgeoisie ohne Zynismus durch den Kakao zieht, die sich beweihräuchert und um sich selbst kreist bei Restaurantbesuchen, Weekends auf dem Land oder in teuren Delikatessen Läden.
Trotz des intimen Chaos falle ihre Heldin nicht von einer Enttäuschung in die andere, der Glaube an die Liebe, die irgendwann passieren kann sei ein Motor, es lohne sich, im Leben nach dem ganz großen Gefühl zu suchen. Festival-Chefin Diana Iljine freut sich, mit Claire Denis eine der großen Filmkünstlerinnen Frankreichs endlich aufs Filmfest gelockt zu haben. Ihr wunderbarer Film ist ein Kammerspiel der Gefühle mit großen Stars, das die neue Unverbindlichkeit in der Gesellschaft tiefschürfend und leicht zugleich kritisiert. Nicht zu vergessen das lockere melancholische Spiel mit der Sehnsucht.
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